Inge Hannemann im Link-s.Gelenkt. Interview

inge hannemann

Die gebürtige Hamburgerin ist als „Hartz IV-Rebellin“ bekannt. Nachdem die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiter die Praxis der Sanktionen scharf kritisierte und Betroffenen half, wurde sie freigestellt. Sie war die erste „aus dem System“, die sich traute eben jenes zu bekämpfen.

 

Seitdem bloggt sie, tourt durch das Land, setzt sich für Betroffene und das BGE ein. Mittlerweile ist sie in der Hamburgischen Bürgerschaft gelandet.

 

Tim Zborschil traft sie am Rande der Veranstaltung „10 Jahre Hartz IV“ in Kassel für ein Interview.

 

Aber lest doch selbst. 😉

Du hast ab 2005 im Jobcenter Hamburg-Altona gearbeitet. War Dir damals schon bewusst, auf was Du dich einlässt und was die Agenda 2010 mitsamt der Hartz-Gesetze bedeuten oder ist diese Erkenntnis erst im Laufe Deiner Tätigkeit aufgekommen?

Inge Hannemann: Wir müssen dort ein bisschen differenzieren. 2005 habe ich in Freiburg angefangen und das war alles ganz anders organisiert. Im Unterschied zu Hamburg wurde dieses Jobcenter von Sozialpädagogen geleitet. Das war der maßgebliche Unterschied. In Freiburg war ich noch als Fallmanagerin tätig, d.h. ich stand nie unter dem Druck vermitteln zu müssen, sondern nur zu beraten und zu begleiten und sich bzw. dem Arbeitssuchenden einen Überblick zu verschaffen, was es so gibt.

Und dort hatte ich Teamleiter und Standortleiter, die gesagt haben: Der Mensch steht im Mittelpunkt und uns interessieren keine Quoten oder ähnliches. Von daher war es mir dort noch nicht ganz so bewusst – außer vom Niedriglohnsektor her, das war mir vorher schon klar, nachdem auch Schröder da so rumposaunt hat.

In Hamburg selbst war ich dann schockiert. Einerseits über den Führungsstil, aber auch wegen der Verschärfung der Sanktionspraxis Mitte 2006 und besonders über den emportretenden Tenor, dass die Arbeitslosen – wie es ja immer heißt – selbst Schuld seien: „Ihr müsst die antreiben, sonst tun die nix. Wir sind immer die Guten und das sind immer die Bösen.“- war das Credo.
Und dann war natürlich die Frage, was mache ich. Ich musste natürlich selbst Geldverdienen, weil ich bis vor 8 Jahren sozusagen alleinerziehend war – oder mache ich letztlich was anderes.

Ich habe dann letztlich auf Teilzeit reduziert.

Nachdem Du dich geweigert hast, Sanktionsmaßnahmen für ALG-II Bezieher_Innen zu vollstrecken, folgte eine Rechtsstreit mit dem Jobcenter, das Dich wegen deiner pragmatischen Auslegung der Vorgaben vom Dienst freigestellt hat. Daraufhin stürzten sich ja alle Medien auf Dich und stilisierten Dich zur „Hartz IV“-Rebellin. Wie hast Du diese Situation empfunden? War dieser Medienhype eher Belastung oder Hilfe?

Inge Hannemann: Ich muss erst einmal korrigieren. Ich habe immer sanktioniert und das habe ich auch immer so gesagt. Nur das wollen die Medien nie bringen, nur um die Quote zu füllen.

Ich habe die Sanktionen zurückgenommen, das geht nämlich. Also ich habe den Betroffenen geholfen und ihnen gesagt, was ich von ihnen brauche, damit ich die Sanktionen zurücknehmen kann. Und habe somit die Beweise letztendlich selbst quasi erbracht.
Und der Medienhype hält ja eigentlich bis heute an. Ich selbst finde ihn eher anstregend, denn ich bin eher ein Mensch, der lieber im Hintergrund agiert. Aber auf der anderen Seite brauche ich die Medien natürlich, um die Thematik an die Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb nutze ich sie natürlich, genau wie sie mich auch nutzen. Es ist mit Sicherheit keine Liebe, aber nunja.

Kritisieren ist ja bekanntlich in allen Bereichen immer das Einfachste. Doch, wenn Hartz-IV für Dich (und natürlich die Betroffenen) nicht akzeptabel ist, was ist die Alternative? Die Bundesregierung feierte kürzlich erst die Agenda 2010, deren Effekt der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mit dafür verantwortlich sei, dass der Standort Deutschland wettbewerbsfähig ist und die Wirtschaftskrise souverän ohne Massenarbeitslosigkeit meisterte. Hartz-IV reformieren oder komplett abschaffen und wodurch ersetzen?

Inge Hannemann: Also ich glaube über Reformieren müssen wir uns gar nicht unterhalten, das ist sinnlos. Es ist abzuschaffen – sofort – und als Alternative, ich bin eine Verfechterin des Bedingungslosen Grundeinkommens. Aber da müssten die gegenwärtig vier Konzepte, die existieren, nochmal zusammengefasst und neu durchdacht werden, wobei ich das emanzipatorische BGE von Seiten der LINKEN durchaus gut finde.

Oder bis wir das BGE haben: Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn-und Personalausgleich, denn die die arbeiten, arbeiten zu viel. Und die, die arbeiten wollen, bekommen keine.

Du bist zusammen mit Katja Kipping ja eine der Vorkämpfer_Innen für das Bedinungslose Grundeinkommen. Kritiker winken bei diesem Vorschlag immer wieder schmunzelnd ab, mit der Begründung, es gäbe keinerlei Anreize mehr in Beschäftigung zu sein, vor allem in unattraktiven Berufsfeldern – da es kein Fordern, sondern nur noch Fördern gäbe. Was entgegnest Du diesen Aussagen?

Inge Hannemann: Also bei diesen unattraktiven Arbeitsstellen, da ist es Aufgabe des Arbeitgebers umzudenken und zu evaluieren warum sie unattraktiv sind: Liegt es an den Arbeitsbedingungen, ist das Gehalt unattraktiv, die Arbeitszeiten oder der Job an sich. Das ist nicht die Aufgabe der Bewerbenden.

Es wird zwar Leute geben, die sich darauf bewerben, aber dann mit der neuen Freiheit zu sagen, ich habe es nicht nötig unter schlechten Arbeitsbedingungen zu arbeiten oder im Niedriglohnsektor. Nach dem Motto: Lieber Arbeitgeber, änder Du das. Dann mach ich den Job.

Wir haben damit ja plötzlich eine ganz andere Position. Wir als Bewerberin oder Bewerber diktieren zwar nicht, aber wir machen Vorschläge um das entsprechend zu ändern.

Mit Deiner Kritik an der maßgeblich von der SPD initiierten Agenda 2010, bist Du natürlich von der Linkspartei, die es so in der heutigen Form eben nur wegen dieser Reformen gibt, mit offenen Armen empfangen worden. Doch gab es seitens der SPD, deren Jungendorganisation Du immerhin 5 Jahre angehörtest, offene Ohren oder die Bereitschaft sich mit Dir bzw. den gravierenden Schwächen des System offen auseinanderzusetzen?

Inge Hannemann: Doch, also die Jusos haben ja auch eine Resolution für meine Person in Berlin erstellt. Die gelten ja laut Sigmar Gabriel auch noch immer als rebellisch, was mir durchaus positiv entgegenkommt. Die sollen ruhig noch rebellischer werden. Also mit den Jusos stehe ich in Kontakt sowie mit den linksorientierten SPD’lern aus sämtlichen Bundesländern – sogar aus Hamburg. Die Jusos in Hamburg z.B. werden gedeckelt von Olaf Scholz, dem Oberbürgermeister, die dürfen nicht rebellisch sein. Er ist da total der König und das merkt man auch bei den Jusos.

Und dann diskutieren wir: Wo wir uns bisher nicht einig sind, ist bei dem Punkt Sanktionen. Da ist mir leider bisher noch kein SPD’ler entgegengekommen, der meinte, die müssten weg. Sie meinten eher, diese müssten bestehen bleiben, aber entschärft werden. Aber sonst hätten wir ja auch keinen Anreiz mehr. Bei der Kritik an Agenda 2010, Niedriglohnsektor, Gesellschaftsspaltung und Armut, da stimmen sie mir sogar zu. Aber es sind einfach insgesamt zu wenig linksorientierte SPD’ler.

Gabriel hat ja vor ein paar Tagen mit seinem Rücktritt gedroht: Ich warte darauf. Ansonsten ist es ja heuchlerisch, was er gesagt hat.

Im Februar 2015 hast Du als Nicht-Mitglied auf der Liste der LINKEN zur Wahl der Hamburgischen Bürgerschaft kandidiert und den Einzug letztlich auch geschafft. Hat es Dich als quasi „politische Quereinsteigerin“ viel Überwindung gekostet, diesen Schritt der Kandidatur für Die Linke zu wagen? Und daran anknüpfend, hast Du als Nicht-Parteimitglied eingeschränktere Kompetenzen in der Fraktion als ein Vollmitglied – bzw. identifizierst Du dich mit den Zielen der Linkspartei abseits der Hartz-Thematik oder eher nicht?

Inge Hannemann: Es hat mich von dem her Überwindung gekostet, weil ich mir damals nach den Jusos und der SPD-Zeit gesagt habe, dass ich keine Politik mehr mache, weil es verlogen ist und eine gewisser Ellenbogenmentalität herrscht, die ich so nicht unterstützen möchte.

Auf der anderen Seite hat sich das einfach langsam entwickelt. Schritt für Schritt, sodass ich eine außerparlamentarische Bewegung anstoße und dann noch eine politische, um dann zu sehen wie das zusammengeht – und um dann auch stärker zu sein.

Inzwischen bin ich auch in die Partei eingetreten. Seit Mai bin ich Mitglied, habe ich öffentlich auch noch nicht so bekanntgegeben – auf dem Bundesparteitag habe ich es mal am Rande erwähnt. Ich hatte aber auch als Parteilose weder weniger Rechte noch weniger Pflichten und wurde als volles Mitglied der Fraktion anerkannt. Wenn ich die Themen und Überzeugungen allgemein nicht mittragen würde, hätte ich mich ja auch niemals zur Wahl gestellt.
Wir diskutieren natürlich über gewisse Thematiken, bis wir es ausdiskutiert haben. In Hamburg, was ich sehr positiv empfinde, verläuft das alles sehr basisdemokratisch.

Und zuletzt – das ist gängige Tradition bei uns – vervollständige bitte den Satz: „Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, würde ich […].“

Inge Hannemann: …dann würde ich erst einmal Frau von der Leyen entlassen, Frau Nahles entlassen, Sigmar Gabriel entlassen. Also ich würde erstmal eine Kündigungswelle einleiten.

Die Bundesagentur für Arbeit würde ich umwandeln zum Institut für das Grundeinkommen. Dort würde ich natürlich auch den Vorstand entlassen, die laufen da ja nicht konform.

Ich würde gucken, dass die Werte der Gesellschaft wieder zurückkommen. Ich würde die Parteien erstmal „aufn Topf setzen“.

Vielen Dank, Inge!

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Die Fragen stellte: Tim Zborschil

Danke an Till für die technische Unterstützung!

Veröffentlicht: 22.06.2015

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