Netter Versuch

 

Was macht eigentlich die EZB gerade? Ungeachtet aller Warnungen hat sie den Leitzins auf Null gesenkt, was bedeutet, dass Banken, die ihr Geld bei der EZB „parken“, keine Zinsen mehr darauf erhalten. Das führt natürlich auch dazu, dass die Banken und vor allem die Versicherungen weniger Rendite an ihre Kunden ausschütten können. Die Empörung darüber ist gerade bei der CDU groß, die das Vermögen des kleinen Sparers in Gefahr sieht.  Tatsächlich lohnt es sich gerade überhaupt nicht, Geld etwa auf einem Sparbuch anzulegen; inflationsbereinigt wird es weniger statt mehr. Warum aber tut die EZB das? Es geht darum, die schwächelnde europäische Konjunktur wieder anzukurbeln. Der massenhafte Ankauf von Staatsanleihen und die Senkung des Leitzinssatzes sollen „frisches Geld in die Wirtschaft pumpen.“ Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die EZB es Staaten, aber auch privaten Investoren ermöglicht, Kredite zu äußerst niedrigen Zinssätzen aufzunehmen. Das soll ein Anreiz für Länder mit niedrigen Wachstumsraten (also fast alle europäischen Länder) sein, staatliche Konjunkturprogramme mit günstigen Krediten zu finanzieren, um die Wirtschaft zu stärken. Wer die Möglichkeit hat, billig an Geld zu kommen, so die Kalkulation Draghis, wird die Gunst der Stunde nutzen und Investitionen tätigen.

Bild: Christoph F. Siekermann
Bild: Christoph F. Siekermann

Wirtschaftliches Wachstum beginnt immer mit der Aufnahme von Schulden. Ein Investor leiht sich Geld und baut damit ein funktionierendes Unternehmen auf, seine Produkte werden verkauft, seine Angestellten bezahlt, die wiederum kaufen mit dem Geld ebenfalls ein. Das Anfangskapital ist überhaupt erst dadurch entstanden, dass der Investor es bei einer Bank geliehen hat. So kam neues Geld in Umlauf und es hat sich durch den Produktionsprozess in reale Werte umgewandelt (Waren, Dienstleistungen). Hier wird kein Geld gedruckt und einfach ohne Gegenwert unters Volk gebracht, sondern das Geld, die aufgenommenen Schulden, haben einen volkswirtschaftlichen Mehrwert erzeugt.

Dieser Prozess ist im heutigen Europa ins Stocken geraten. Die südeuropäischen Krisenländer nehmen beispielsweise keine neuen Schulden auf, sie sparen auf Anweisung Berlins an allen Enden. Was auf den ersten Blick wie die Rückkehr zum verantwortungsvollen Wirtschaften klingt, ist in Wirklichkeit natürlich kontraproduktiv: Wenn keiner mehr Schulden aufnehmen darf, woher soll Wachstum und damit wirtschaftliche Erholung kommen? Schon vorhandenes Kapital zu verwenden löst das Problem nicht. Dieses Kapital ist ja bereits gewinnbringend angelegt, zieht man es aus diesem Prozess ab und investiert es woanders, ist der volkswirtschaftliche Gewinn gleich null.

So richtig die Entscheidung der EZB sein mag, sie stößt in Deutschland auf wenig Begeisterung. Kapitalgedeckte Altersvorsorgen und Lebensversicherungen werden unrentabel, wenn sie sich nicht mehr in der Lage sehen, das Geld ihrer Kunden zumindest vor der Entwertung durch Inflation zu schützen. Außerdem sind Draghis Pläne konservativen Finanzpolitikern ein Dorn im Auge: Als Anhänger der klassischen Wirtschaftslehre setzen sie lieber auf Strukturreformen (Lohnsenkungen, Kürzung der Sozialausgaben etc.), die die Staatsverschuldung der Krisenländer mindern sollen. Niedrigere Staatsschulden, ein „schlanker Sozialstaat“ und viele Freiheiten für Unternehmer, so das Credo der Austeritätspolitiker, sollen der Wirtschaft das Vertrauen in den angeschlagenen Staat zurückgeben, sodass wieder investiert wird.

Diese Politik hat in Südeuropa komplett versagt. Statt der Wirtschaft nach der Krise wieder auf die Beine zu helfen, haben die Reformen, die die Brüsseler Technokraten den Regierungen Spaniens, Portugals und Griechenlands auferlegten, die Länder in wirtschaftliche Katastrophen gestürzt. Die Binnennachfrage brach fast komplett zusammen, ganze Bevölkerungsschichten verarmten. Den Regierungen waren von Brüssel und Berlin die Hände gebunden, sie mussten sparen und immer mehr sparen, ohne dass es der Wirtschaft geholfen hätte, nicht einmal die Staatsschulden sind gesunken.

Das ficht die Konservativen nicht an. „EZB nimmt Sparanreiz“, heißt es auf der Homepage der Unionsfraktion im Bundestag. Natürlich tut sie das, das ist genau das, was Mario Draghi will: Dass Europa eben nicht spart, sondern investiert. Nur: Die Regierungen Europas tun genau das nicht; entweder weil sie es nicht dürfen oder weil sie, wie Deutschland, der Ideologie der „schwarzen Null“ anhängen. Schäuble schimpft mit großem Elan auf die EZB und „vergisst“ dabei zu erwähnen, dass er ohne die Niedrigzinsen von einem ausgeglichenen Haushalt nicht einmal träumen könnte. Die schwarze Null, das goldene Kalb des Finanzministers, wäre ohne die zwanzig Milliarden Euro (siehe hier), die Schäuble allein 2015 dank niedriger Zinsen einsparen konnte, nicht umsetzbar gewesen.

Natürlich kann die Bundesregierung jetzt nicht einfach sagen: „Wir haben einen Fehler gemacht, Sparen verstärkt nur die Wirtschaftskrise.“ Erstens lassen sich Kürzungen von Sozialleistungen, niedrige Gehälter im öffentlichen Dienst und die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten ziemlich gut durch Sparmaßnahmen rechtfertigen. Das Volk macht das alles mit, solange es scheinbar einem guten Zweck dient. Und zweitens wäre das ja ein Eingeständnis, dass die Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Wirtschaft die ganze Zeit völlig falsch waren. Dieses Eingeständnis wäre gefährlich für die Union, die sich gerne als Wirtschaftspartei darstellt, und die SPD, die das ebenfalls versucht.

So also bleibt die Niedrigzinspolitik der EZB ein fruchtloser Versuch, das sinnlose Sparkarusell zu beenden. Hier triumphiert wieder einmal politisches Kalkül über ökonomische Vernunft. Und als wäre das nicht genug, macht die Union, verzweifelt bemüht, ihre Wähler von der AfD zurückzugewinnen, noch auf nationalistische Weise Stimmung gegen Draghi: Hans-Peter Friedrich, Markus Söder und Hans-Peter Uhl forderten kürzlich unisono und unwidersprochen, der nächste EZB-Chef solle ein Deutscher sein, damit „mehr deutsche Handschrift“ (Söder) deren Handeln bestimme. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Mal wieder.

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