» Du warst zur Bundestagswahl 2013 Direktkandidatin in Berlin-Mitte und hast 0,2% der Erststimmen bekommen. Wie motiviert man sich immer wieder zu einem engagierten Wahlkampf, wenn die Aussichten auf Erfolg eher bescheiden sind?“
Tunia Erler: Das wichtigste Ziel meiner Kandidatur ist nicht ein Parlamentsmandat zu erobern. Deshalb stellt sich die Frage eines Erfolgs oder Misserfolgs anders als für Politiker bürgerlicher Parteien.
Die DKP kandidiert bei Wahlen, um die Politik der Kommunisten breiteren Kreisen der Bevölkerung bekanntzumachen. Durch die Teilnahme haben wir – wenn auch sehr beschränkt – Zugang zu Medien, die uns sonst konsequent verschweigen, zum Beispiel durch die Ausstrahlung der Wahlspots. Wenn es uns in Wahlkämpfen gelingt, mit vielen Menschen Gespräche zu führen, unsere Positionen zu erläutern, zu diskutieren und vielleicht hier und da zum Nachdenken anzuregen, ist das für mich schon ein Erfolg. Es geht uns um die Stärkung der grundsätzlichen Opposition zu diesem Gesellschaftssystem – dafür engagiere ich mich, und das nicht nur in Wahlkampfzeiten. Und das selbe gilt natürlich auch für meine Genossinnen und Genossen.
Sollte es uns aber tatsächlich gelingen, Mandate zu erringen, wäre das Parlament für uns ein weiteres Kampffeld. Unsere Aufgabe wäre es dann, die Meinung der arbeitenden Menschen, die Forderungen der Erwerbslosen und Ausgegrenzten, die Stimmen der fortschrittlichen Bewegungen in das Parlament zu tragen und die bürgerlichen Politiker damit zu konfrontieren. Demonstrationen, Parlamentssitzungen oder ein Interview mit einem Internetportal – all das sind Formen des selben Kampfes.
Die Beteiligung über eine Wahl an einer bürgerlichen Regierung aber, bis auf Ausnahmesituationen, nicht, denn wir lassen uns nicht korrumpieren vom sogenannten „Sachzwang der Tagespolitik“ Aber das steht ja auch bei der EU-Wahl nicht zur Debatte.
» Eine Demokratie lebt vom politischen Diskurs. Im Vorfeld der Bundestagswahl hast Du den Bundeswahlleiter scharf dafür verurteilt, dass „neofaschistische Parteien“ zur Wahl zugelassen worden sind. Käme es nicht einer totalitären Selektion gleich, wenn Parteien trotz Erfüllung der rechtlichen Grundlagen die Teilnahme an Wahlen verwehrt wird – zumal die DKP selbst vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird.“
Tunia Erler: Den Ausschluss von Neofaschisten mit dem Nazibegriff »Selektion« zu belegen, ist komplett daneben. Die Frage bringt das Dilemma ansonsten konkret auf den Punkt: Wie kann es sein, dass NPD und andere die rechtlichen Grundlagen zur Wahlteilnahme erfüllen? Nur deshalb, weil sie in diesem Land noch immer als legale Parteien geduldet werden, wodurch unter anderem die bis heute geltenden Entnazifizierungsvorschriften der Grundgesetzes verletzt werden. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Faschismus bedeutet blutigen Terror, Mord und Verfolgung gegen alle demokratischen und fortschrittlichen Bewegungen, rassistische Hetze, Aufstachelung zu Krieg usw. Wenn so etwas legal wählbar sein soll, dann müssen auch Al-Qaida, die Mafia, Drogendealer und andere Verbrecher die gleichen legalen Möglichkeiten haben. Warum fordert denn das niemand?
Dass der »Verfassungsschutz«, der selbst die Neofaschisten-Terrorbande NSU hochgepäppelt und finanziert hat, meine Partei als extremistisch einstuft, ist eine Ehre. Die Beamten des Inlandsgeheimdienstes wissen eben sehr genau, wo ihre entschiedenen Gegner stehen. Wir fordern die Zerschlagung dieser kriminellen politischen Instrumente Verfassungsschutz, BND, MAD usw.
» Die Sperrklausel (3 bzw. 5% Hürde) entfällt zur Europawahl. Wie bewertest Du/die DKP diesen Wegfall, denn immerhin werden jetzt voraussichtlich rechte Parteien wie die NPD, die Republikaner oder auch die populistische AfD einziehen.“
Tunia Erler: Wir Kommunisten waren und sind immer gegen Sperrklauseln, auch wenn wir uns manchmal doch freuen können – zum Beispiel als die FDP hochverdient aus dem Bundestag geflogen ist. Ansonsten ähnelt die Antwort auf diese Frage sehr meiner obigen Antwort: Es kann nicht darum gehen, durch undemokratische Prozenthürden undemokratische Kräfte aus den Parlamenten herauszuhalten. Das war auch niemals das Ziel – die Prozenthürde hatte immer das Ziel die Kontrolle der bürgerlichen Parteien über das Parlament zu festigen. Faschisten und ähnliche Banden stören sie da nicht sonderlich, aber Kommunisten und echte Linke wären gefährlich. Es ist kein Zufall, dass die Fünf-Prozent-Hürde 1953 eingeführt wurde – zeitgleich mit dem Verbotsprozess gegen die Kommunistische Partei Deutschlands, die 1956 illegalisiert wurde.
» Die DKP scheint wie auch einige andere Parteien ein Nachwuchsproblem zu haben. Das Durchschnittsalter der doch beachtlichen Zahl von 3500 Mitgliedern (Stand 2013) liegt bei 60 Jahren. Welche Möglichkeiten siehst Du, um die Jugend wieder mehr zu politisieren?“
Tunia Erler: Jugend allein ist kein Wert. Das haben wir bei den »Piraten« erlebt, die momentan sicherlich die »jüngste« Partei sind und sich selbst in ihrem unerfahrenen Eifer gleich wieder zerlegt haben. Aber es stimmt natürlich, dass die DKP wieder stärker werden muss – und diese Stärkung wird von jüngeren Menschen ausgehen. Deshalb freue ich mich, dass die uns verbundene SDAJ wächst und stärker wird. Die Politisierung der Jugend wird auch Hand in Hand gehen mit der allgemeinen Politisierung der arbeitenden Menschen, die sich verstärken wird mit der zu erwartenden Radikalisierung der Gesellschaft durch die Verschärfung der Ausbeutung in der kapitalistischen Gesellschaft.
Auch heute schon ist die DKP sicherlich die einzige Partei dieses Landes, in der die 90-jährige Antifaschistin, die schon während des Faschismus Widerstand geleistet hat, mit dem 19-jährigen Seite an Seite in einer Blockade gegen einen Aufmarsch von Faschisten sitzt.
» Im zugegebenermaßen sehr authentischen Europawahl-Spot wird ein sehr düsteres Bild der EU gezeichnet. Es ist die Rede von „verordneter Massenverelendung“ und Kriegstreiberei. Bei aller berechtigten Kritik – gibt es nicht auch positive Errungenschaften oder sieht die DKP das Projekt EU als gescheitert an?“
Tunia Erler: Die Frage ist immer: „Für wen?“ Für die Großkonzerne, insbesondere die deutschen, ist die EU nicht gescheitert. Sie hat ihnen Absatzmärkte und Spekulationsmöglichkeiten in früher nicht gekanntem Ausmaß geschaffen. Während die Menschen der europäischen Länder gegeneinander ausgespielt werden, kontrollieren die Konzerne die Politik der nationalen Regierungen – die Folgen sehen wir dramatisch in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen Ländern. Ebenso dient die EU als gemeinsames Instrument der imperialistischen Mächte im globalen Konkurrenzkampf. Diesen führt die EU mal gemeinsam mit den USA – wie im Fall TTIP –, mal in Konkurrenz, wie derzeit in der Ukraine.
Für die Menschen hat diese EU nichts zu bieten. Wir sind Internationalisten, und deshalb freuen wir uns über den Wegfall der Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten. Aber wir wollen auch keine Festung Europa – es ist nichts gewonnen, wenn die Freizügigkeit innerhalb der EU dazu führt, dass EU-Grenztruppen Jagd auf Flüchtende machen, die über das Mittelmeer oder über die Grenzbefestigungen im nordafrikanischen Ceuta und Melilla nach Europa kommen wollen. Diese EU ist ein Projekt des europäischen Imperialismus und schadet – unmittelbar und/oder langfristig – den Menschen dieses Kontinents und weltweit und als Machtinstrument der Großkonzerne und des Finanzkapitals auch nicht reformierbar.
» Wie sieht Dein Verhältnis bzw jenes der DKP zu anderen linken Parteien aus (DIE LINKE, MLPD, BüSo oder PSG)? Arbeitet Ihr miteinander oder eher gegeneinander?“
Tunia Erler: Die reaktionäre Politsekte BüSo würde ich nicht in eine Liste linker Parteien aufnehmen – nationalistische Propaganda gegen „London und die Wall Street“, die schon den Ersten Weltkrieg verursacht hatten (und was ist mit Deutschland?) hat nichts mit fortschrittlicher Positionierung zu tun.
Die DKP arbeitet in Bündnissen mit allen Kräften zusammen, die sich gemeinsam mit uns für konkrete Ziele einsetzen wollen – in der Friedensbewegung, im Kampf um Umweltschutz, im Widerstand gegen neofaschistische Umtriebe, bei der internationalen Solidarität. Gerade in der Partei Die Linke gibt es auch durchaus Mitglieder, unter ihnen auch im Deutschen Bundestag, die gute Politik entwickeln. Zugleich müssen wir feststellen, dass die antimilitaristische Linie der Linkspartei immer mehr aufweicht, zuletzt bei der Zustimmung und Enthaltung zahlreicher ihrer Bundestagsabgeordneten zur Entsendung der Bundeswehr-Fregatte ins Mittelmeer. Wir haben den Eindruck, dass in der Linkspartei die Kräfte, die für eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen alle Prinzipien über Bord werfen würden, auf dem Vormarsch sind.
Was die anderen beiden Organisationen angeht, die Ihr genannt habt, solltet Ihr diese fragen. Wir brauchen uns doch keine Gedanken über eine Zusammenarbeit mit Leuten machen, die uns als „jämmerlichen Überrest der stalinistischen Bürokratien“ beschimpfen.
» Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag und 1968 immerhin Mitgründer der DKP sagte uns neulich in einem Interview, dass er gerne mehr mit der DKP diskutieren möchte und wo möglich auch zusammenarbeiten will, die DKP als Partei jedoch nicht in die Zeit passend findet. Was entgegnest Du ihm?“
Tunia Erler: Wenn der frühere Hamburger DKP-Bezirksvorsitzende meint, diese Partei passe nicht mehr in die Zeit, ist das seine Sache. Ich bin Mitglied der Kommunistischen Partei, weil ich der Überzeugung bin, dass das kapitalistische System menschenfeindlich und die Welt zerstörend ist. Ich bin überzeugt, dass wir den Kapitalismus überwinden müssen, damit dieser Planet nicht endgültig zugrunde geht. Das aber geht nur auf dem Wege des revolutionären Sturzes der Macht der Banken und Monopole. Wenn der Genosse Gehrcke glaubt, dass diese Überzeugung veraltet ist, sollte er mir und uns allen die Alternative erklären. Eine wirkliche Konzeption kann ich dazu in seiner Partei – deren Vorsitzende sich am 1. Mai nur Gedanken darüber macht, den „Tag der Arbeit“ umzubenennen – jedenfalls nicht erkennen.
»Die DKP ist eine kommunistische Partei. Der Kommunismus allerdings wird oft als ein gescheitertes Modell bezeichnet, hier wird zumeist auf die DDR, die Sowjetunion und den ganze übrigen „Ostblock“ verwiesen. Es scheint als scheitere das Modell am Menschen und dessen Egoismus selbst. Wieso trittst Du dennoch für den Kommunismus ein?“
Tunia Erler: Richtig: Die DKP ist eine kommunistische Partei. Der Kommunismus ist das Ziel, führt aber über den Sozialismus. Ich kenne keinen Menschen, der schon mal im Kommunismus gelebt hat und das behaupten kann.Wer behauptet, der Kommunismus ist ein gescheitertes Modell kann diese beiden Begriffe noch nicht einmal definieren.
Die DDR war der einzige Staat in der deutschen Geschichte, der nie Krieg geführt hat. Die Staaten des real existierenden Sozialismus haben über Jahrzehnte Gesellschaften aufgebaut, die ihre Entwicklung nicht auf die Ausplünderung anderer Kontinente und Völker aufgebaut haben, wie dies der Kapitalismus und insbesondere der imperialistische Kapitalismus bis heute tut. Bis zum Kommunismus, der klassenlosen Gesellschaft, ist keiner dieser Staaten gelangt – denn dies war im globalen Klassenkampf nicht möglich.
Wir analysieren die Fehler, die beim Aufbau des Sozialismus gemacht wurden – damit wir sie beim nächsten Mal nicht wiederholen. Aber: Wenn diese Gesellschaftssysteme gescheitert sind – wie wird dann der real existierenden Kapitalismus bezeichnen? Eine Gesellschaft, die ihre Entwicklung auf der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit, auf dem Verhungern von Millionen Menschen, auf Krieg und Ausbeutung gründet, ist wohl kaum „erfolgreich“.
Mit den Menschen, das ist so eine Sache und Marx hat es treffend formuliert: Eine Gesellschaft entwickelt sich aus einer konkreten Gesellschaft heraus, und ist daher zunächst „in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet […] mit den Muttermalen der alten Gesellschaft.
» Und zum Schluss – gängige Tradition bei uns – vervollständige bitte folgenden Satz: „Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, würde ich […].“
Tunia Erler: Mich sofort mit der Arbeiterklasse unter Einbeziehung aller Menschen dieses Landes daran machen, eine neue Gesellschaft aufzubauen – und das in dem Wissen, dass wir mit der Eroberung des Bundeskanzlerpostens allein noch gar nichts erreicht haben.
Vielen Dank für die Beantwortung!
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Die Fragen stellte: Tim Zborschil
Bild: Gabriele Senft
Veröffentlicht am: 26.05.2014
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Kommentare: 1
Bernard O'Brian (Montag, 26 Mai 2014 15:26)
Ich habe im real existierenden Sozialismus gelebt und ich würde mir gerne heutige Personen wie Dubcek, Nagy, Tito, Heym, Janka, Gorbatschow und andere als Repräsentanten des Sozialismus wünschen. Mit der DKP sehe ich hier jedoch genausowenig Aussichten wie mit der MLPD oder mit anderen linken Polit-Sekten die Stalin anbeten und alles was zwischen Dubcek und Gorbatschow liegt verdammen... denn am Ende war Stalin derselbe Diktator wie Hitler.