Netterweise stand uns Wolfgang Gehrcke vor der Diskussionsveranstaltung zum Thema "Osteuropa vor der Neuordnung?" für ein kurzes Interview zur Verfügung. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag und außenpolitische Sprecher seiner Partei war erst vor kurzem mit einem Haufen Fragen im Gepäck zu Besuch in Russland, sprach mit Abgeordneten der Regierungspartei, sowie mit jenen der Opposition und gilt als Experte in Sachen Russland/Ukraine.
Er selbst bezeichnet sich als Russlandversteher, weil er verstehen möchte, weshalb die Russen so agieren, wie sie es tun. Das hieße jedoch nicht, dass er alles gut findet, sondern lediglich, dass er sich zunächst einen Überblick verschaffen wolle.
Interview:
Tim: Derzeit beschweren sich tausende Menschen auf den Web-und Facebookseiten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sowie von Zeitungen wegen einer verzerrten und russlandfeindlichen Berichterstattung. Empfindest Du diese Proteste als gerechtfertigt?
Wolfgang Gehrcke: Ich habe noch nie so eine schlechte Berichterstattung erlebt wie derzeitig in den Massenmedien zu Russland. Die gängige Berichterstattung derzeit ist immer "man sagt" - wer ist "man"? "Es wird gemunkelt", "Es besteht der Verdacht", das heißt man meldet keine Fakten, sondern bildet Gerüchte und Meinungen ab und die sind meistens sehr extrem gegen Russland gerichtet. Ich finde das eine einzige Katastrophe. Dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sich darüber beschwert, finde ich dagegen sehr hoffnungsvoll. Das ist das erste Mal, dass sie signalisieren "mit uns nicht" und ich habe jetzt von vielen Medien gehört, dass sie ganze Brieffluten und Protestmails bekommen über diese Art und Weise der Berichterstattung. Klassisches Prinzip einer fehlgeleiteten Medienberichterstattung ist immer die Trennung von Meinung, Kommentar und Meldung - und das findet nicht mehr statt.
Tim: Bleiben wir noch kurz bei der Ukraine. Bei dem dortigen Krim-Referendum fungierten neben einigen vielen rechtextremen Politikern auch Mitglieder von linken Parteien, z.B. Abgeordnete der deutschen Linken aus dem Landtag Mecklenburg-Vorpommerns, als Wahlbeobachter. Wie bewertest Du diese Zusammenarbeit?
Wolfgang Gehrcke: Wenn sie mich gefragt hätten, hätte ich ihnen angeraten nicht zu fahren, da der Einlader wie ich finde nicht klar zuzuordnen war. Wenn man Wahlbeobachtung macht, muss es faire Bedingungen geben. Wenn irgendein Meinungsinstitut, das Meinung prägen will und gar nicht die Wahl beobachten will, einen einlädt mit der klaren Bemerkung "Wir möchten Wahlbeobachter aus dem Westen, möglichst aus Deutschland haben", sollte man besser sagen "mit mir nicht". Ich selbst hatte diese Einladung, ich habe sie abgelehnt. Spannenderweise wusste zuerst, dass ich eingeladen wurde die BILD-Zeitung, die bei mir angerufen hat, ob sie mich begleiten könne. Da sieht man - manchmal gibt es auch ein Zusammenwirken von Rechten und anderen. Ich fand das unangenehm, habe mich auch über meine Kollegen geärgert und hätte ihnen geraten, dass sie es sein lassen sollen.
Tim: Bei unseren Recherchen zu Deiner Person, sind wir darauf gestoßen, dass Du 1968 an der Gründung der DKP beteiligt und auch lange Zeit im Parteivorstand warst, ehe Du 1990 in die PDS eingetreten bist. Hast Du heute noch Kontakte zur DKP und wie bewertest Du deren Lage auch vor dem Hintergrund des Wegfalls der Sperrklausel zur Wahl des Europaparlaments?
Wolfgang Gehrcke: Also ich habe einen Respekt vor Leuten, die ihre Meinung nicht abgeschworen haben, auch wenn ich sie selber nicht teile. Ich finde die DKP als Partei nicht in die Zeit passend. Ich bin auch überzeugt, dass ein Teil ihrer Politik aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar ist, aber das müssen diejenigen entscheiden, die dort verantwortlich sind. Das entscheiden sie und ich habe überhaupt nicht das Bedürfnis meine Nase über die GenossenInnen der DKP zu erheben.
Ich bin 1961 ausgeschlossen worden aus der Sozialdemokratischen Partei, als 17-Jähriger, mit der Begründung, dass ich Marx lese und sie waren der Meinung, dass ich die Friedensbewegung hier mitbegründet habe. Ich bin dann in die damals verbotene KPD gegangen. Ich bin von meiner ganzen Überzeugung Kommunist, da mache ich auch nie einen Hehl draus und interessanterweise können die konservativen Kollegen im Bundestag der CDU damit gut leben und sagen "Der steht zu seiner Überzeugung". Warum soll ich für Menschen, die eine eigene Überzeugung haben und sich in bestimmten Fragen anders orientieren, mich darüber erheben. Das tue ich nicht. Die DKP ist eine linke Kraft und ich möchte, dass man mal mit ihr diskutieren und wo es möglich ist auch mit ihr zusammenarbeitet.
Tim: Und zum Schluss, das ist schon gängige Tradition bei uns. Vervollständige bitte den Satz: "Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich [...]."
Wolfgang Gehrcke: Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich als erstes alle Waffenexporte verbieten. Ich würde zweitens mit Betrieben, die Rüstung produzieren, anfangen zu diskutieren, dass man auf zivile Produktion umstellt und das mit Geldern fördern.
Ich würde gute Freundschaft halten mit den linken Staaten Lateinamerikas. Als Bundeskanzler hätte ich auch den Wunsch Fidel Castro zu treffen. Ich habe ihn mal getroffen, also mehrmals, er ist ja schon in einem sehr hohen Alter und ich würde alle Nazi-Organisationen verbieten.
Das ist nicht ausreichend, aber erstmal ein paar vernünftige Schritte und dann möchte ich als Kanzler ein großes Happening machen, wo man mit anderen zusammen feiert.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!
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Aufgenommen am 22.04.2014, Harlekin Wetzlar
Die Fragen stellte Tim Zborschil